Konzertbericht: Die Kawenzmänner und die Nightclub Neighbours im KOHI (20.9.)

Punkrock ist so alt wie die Welt. Punk bedeutet: Ich sage 'Nein' und ich sage dir nicht, warum. Etwas philosophischer hat das Herbert Marcuse im Jahr 1957 in seinem Essay 'Triebstruktur und Gesellschaft' formuliert: 'Die Frage nach dem Ursprung der Verdrängung führt auf den Ursprung der Triebunterdrückung zurück, die während der frühen Kindheit stattfindet.'

Die Nightclub Neighbours eroeffneten den Abend mit guter und interessanter Musik, die zu keinem Zeitpunkt des Auftritts einen Durchhänger hatte. Schade war nur, dass man die Wunderkerzen, die der Herr an der Sologitarre ohne Unterlass abfeuerte, eher sehen denn hören konnte. Aber, dachte ich, dann sei es halt so, und ich war's zufrieden.

Bis eine neben mir stehende Dame mich antippte und mir ins Ohr rief: 'Was ist denn daran Indierock. Die sind doch null independant, die passen doch ständig auf einander auf.' Und dann sah ich es auch. Irgendwie kontrollierten sich auf der Bühne alle gegenseitig. Aber vielleicht ist das ja ein Grundpfeiler der Band und die Musik wäre ansonsten nicht mehr so super und auch spannungsgeladen: Ritchie Blackmore und Ian Gillan waren bei der Produktion von 'Perfekt Strangers' ja zu keinem Zeitpunkt einmal gleichzeitig im Studio ..... der Bezug ist jetzt natürlich sehr weit hergeholt, aber nach dem Ende des Konzerts habe ich mich kurz im Spaß gefragt, ob die Musiker wohl gemerkt hätten, dass sie ein gemeinsames Hobby haben.

In der Umbaupause bediente ich mich am wie immer reichhaltigen KOHI-Büffett. Und den Aufpassgedanken noch im Ohr, sah ich, wie die Kawenzmänner die Bühne betraten. Mit einem Selbstverständnis, wie weiland 1986 die Scorpions vor 100.000 Menschen die Bretter der Welt enterten. Auf nichts aufpassend und auf nichts aufpassen müssend: Vier Herren, kurz vor der Bestager-Grenze, durschreiten eine Vorhangöffnung, bekleidet nur mit kurzer Feinripp-Unterwäsche, weiß und wie frisch von C&A.

Da freute sich mein dekonstruktives Herz, dass mich ein Abend erwarten würde, der Rollenzuschreibungen hinterfragt: Denn unmännlicher als so kann man sich nicht verkleiden, wenn man seine Band “Kawenzmänner” nennt. Und das ist bemerkenswert sympathisch in einer Musikszene, die wahrlich nicht frei von Sexismus und Frauendünkel ist.

Auch im weiteren Fortgang des Konzerts gab es immer wieder Brüche in der herkömmlichen Ordung der Symbole der Welt. Vor allem durch positive Bezugnahme auf Symbole der 1970er-Jahre, wie etwa das Trinken von 'Zinn 40' oder das Dauertrinken von Eierlikör live-on-stage. Die Kawenzmänner zelebrierten in ihrer Show einen Grundwiderspruch und synthetisierten ihn: Indem sie sich spielerisch und symbolhaft mit dem aussöhnten, gegen das sie sich in ihrer Jugend als eng und muffig verwehrt hatten (das behaupte ich jetzt einfach mal).

Ihr meint, das sei ein Konzert gewesen. Aber nein. Das war eine stellvertretende Therapie von Kindheitswunden, an deren aktiver Teilhabe das Publikum aufgefordert gewesen war. Und ich habe daran teilgenommen. Wahrlich, I tell you.

Die Musik war so, wie mein Opa immer krachend “Fettnei” rief, wenn er beim Skat einen Grand eröffnete und das Herzass auf den Tisch knallte. Und wieder einmal dankte ich Gott für die Existenz des KOHI und auf dem Heimweg beiden Bands für ihre schöne Musik.

Identiflex

Dieser Artikel wird unterstützt vom Kulturbüro der Stadt Karlsruhe.

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